Dank einer gesetzlichen Änderung (§ 23a des NRW-Nachbarrechtsgesetzes - 24.05.2011) haben Gebäudeeigentümer bei Maßnahmen zur energiesparenden Wärmedämmung jetzt grundsätzlich ein Recht zum sogenannten Überbau. Das heißt, ihr Haus darf nun über die Grenze zum Nachbargrundstück hinausragen - dies jedoch nur bei entsprechenden Vorbedingungen.
Ab sofort gilt: Für Zwecke der Wärmedämmung darf man,
unter einschränkenden Voraussetzungen, das eigene Gebäude über diese Grenze hinaus auf das Nachbargrundstück „ausbauen", wenn das Bauwerk direkt oder sehr nah an der Grenze steht. Das bedeutet umgekehrt: Der Grundstückseigentümer, in dessen Grundstück die Wärmedämmmaßnahmen des Nachbarn über die Grundstücksgrenze hinaus eingebaut werden sollen, muss dies dulden. „Es sind indes zahlreiche Dinge zu beachten, bevor man mit dem Überbau beginnt", rät Dr. Egon Peus von Aulinger Rechtsanwälte. Beispielsweise gelte es Folgendes zu beachten:
1. Überbau nur bei Bestandsimmobilien zur Wärmedämmung
Das fragliche Gebäude muss bereits bestehen. „Man darf nicht so nah an die Grenze heranbauen, dass der Platz für eine Wärmedämmung fehlt, und dann nachträglich über die Grenze hinweg eine Wärmedämmung anbringen. Es geht also um eine Begünstigung von Altbauten zum Zwecke der Wärmedämmung", so Rechtsanwalt Dr. Peus. Dabei dürfen nicht nur die eigentlichen Wärmedämmmaterialien angebracht, sondern auch über die Grenze hinaus Anpassungen an Bauteilen wie Dach oder Fensterbank vorgenommen werden.
2. Bauteileanforderungen beachten
Die Wärmedämmmaßnahme darf nicht über die Bauteileanforderungen in der jeweils maßgeblichen Energieeinsparverordnung vom 24.07.2007/29.04.2009 hinausgehen.
3. Innendämmung muss ausscheiden
Der Überbau ist erlaubt, wenn eine vergleichbare Wärmedämmung nicht auf andere Weise mit vertretbarem Aufwand vorgenommen werden kann. Fachleute beurteilen indes eine „Innen-Wärmedämmung" vielfach als problematisch, da im Haus Schimmelbildung und Schäden drohen. Im Übrigen soll es als nicht vertretbarer Aufwand gelten, wenn im Gebäudeinneren merklich Wohnfläche verloren geht.
4. Überbautes Grundstück darf nicht wesentlich beeinträchtigt werden
Die Überbauung darf die Nutzung des überbauten Grundstücks nur unwesentlich beeinträchtigen. Hier ist eine Beurteilung im konkreten Fall erforderlich. Der Gesetzgeber setzt aber eine klare Grenze: Eine wesentliche Beeinträchtigung ist nach Gesetz dann anzunehmen, wenn die Überbauung die Grenze in der Tiefe um mehr als 25 Zentimeter überschreitet.
5. Eigentümer darf Ausgleich verlangen
Der Eigentümer des in Anspruch genommenen Grundstücks darf einen finanziellen Ausgleich verlangen. Wenn sich der Bauherr nicht anderweitig mit ihm einigt, geschieht dies nach den Grundsätzen einer sogenannten Überbaurente. „Mehr als den Grundstückswert der überbauten Fläche gemäß dem Bodenrichtwert kann er als Ausgleichszahlung aber auf keinen Fall verlangen", so Rechtsanwalt Peus. DetailInfos zum Bodenrichtwert des Landes NRW findet man hier: http://www.boris.nrw.de.
6. Wärmedämmung muss unter Umständen beseitigt werden
Wenn der Nachbar des wärmegedämmten Gebäudes später seinerseits ein Gebäude bis direkt an die Grundstücksgrenze („Wand an Wand") neu errichten will, so darf er das. In diesem Fall muss in dem Anbaubereich die vorhandene Wärmedämmung beseitigt werden.
„Neben all diesen relativ deutlichen Vorbedingungen weist das neue Gesetz allerdings auch ein paar Unklarheiten auf. So ist die Frage, ob die Anbringung der Wärmedämmung nur unwesentlich oder doch wesentlich beeinträchtigt, sehr streitanfällig", berichtet Dr. Peus. Wird beispielsweise eine ohnehin knappe Zufahrt zum Gebäude durch Wärmedämmmaterialien noch weiter verschmälert, dürfte dies eine nicht hinzunehmende wesentliche Beeinträchtigung darstellen. Ist das überbaute Nachbargrundstück aber ungenutzt oder handelt es sich lediglich um einen Garten oder eine sonstige Freifläche, so wird wohl eine wesentliche Beeinträchtigung kaum anzunehmen sein.
Jedenfalls sind im Altbau-Bestand nunmehr Wärmedämmmaßnahmen wesentlich erleichtert an solchen Stellen, an denen dies bisher wegen unglücklichen Grundstückszuschnitts ohne freiwillige Zustimmung des Nachbarn unzulässig war. Eine gewisse weitere Belebung des Baumarktes für Unternehmen, Architekten und Altbaueigentümer.
Praxistipps:
1. Wie stets bei nachbarlichen Verhältnissen, so sollte auch beim Thema Überbau Streit tunlichst vermieden werden. Möglicherweise gibt es ja Kompromisslösungen, beispielsweise bei technischen Varianten.
2. Die Absicht, über die Grenze hinauszubauen und Wärmedämmung anzubringen, ist mit der allgemeinen Frist von einem Monat rechtzeitig vorab dem Eigentümer des Nachbargrundstücks bekannt zu geben. Dabei sind auch Art und Umfang der Baumaßnahme mitzuteilen – und zwar schriftlich!
3. Bei umfangreichen und womöglich kostspieligen Baumaßnahmen sollte der Bauherr grundsätzlich sicherstellen, dass die Grundstücksgrenze exakt ausgemessen ist. Ein Nachmessen kann hier unter Umständen vor bösen Überraschungen schützen.
Quelle: AULINGER Rechtsanwälte mit ausdrücklicher Genehmigung der Abteilung für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Kanzlei AULINGER AULINGER Rechtsanwaälte
(Pressemitteilung Juli 2011)